Früher ging ich leidenschaftlich gerne in die Berge. Ich liebte die langsamen, kontinuierlichen Aufstiege. Es dauerte immer etwas, bis ich meinen Tritt gefunden hatte, aber dann schien die Kraft auch nach mehreren Stunden unerschöpflich. Langsam und stetig – so kommen wir erstaunlich weit, so erarbeiten wir uns Meter für Meter den Ausblick auf die darunter liegende Landschaft.
Dagegen können wir uns den Reiz des Abstiegs nicht erarbeiten. Er erschließt sich erst, wenn wir in die Umgebung eintauchen, dem tief in die Flanke des Berges eingegrabenen Bach folgen, sein Plätschern und die feuchtere Luft genießen – so erfahren wir Kehre um Kehre eine Vertiefung. Es ist kein Niedergang, wenn es bergab geht.
Aber egal ob bergauf oder bergab: Jeder Weg führt uns nur weiter, wenn wir ihn auch tatsächlich gehen. Und dafür muss der Boden in uns bereitet sein. Spürt der Körper jedoch, dass unser Grund nicht stabil genug ist, lässt er uns zögern, klug wie er ist. Dann äußern wir Meinungen, Befürchtungen, Ängste. Dann diskutieren wir Konzepte und erkunden Umwege. Wie auch immer: Wir gehen den nächsten Schritt nicht, auch wenn wir es schon lange planen. Und meistens verzeihen wir uns das nicht.
Statt zu hadern, könnten wir auch fragen, wo es uns eigentlich an Unterstützung fehlt. Mein persönlicher Königsweg ist (was für eine Überraschung) die Atempraxis: Sie gibt Halt und lädt ins Leben ein. Sie lässt den Körper spüren, dass er willkommen ist. Und der kann dann sehr viel von alleine, denn er ist ein Überlebenskünstler. Er weiß immer, was ein guter nächster Schritt für ihn wäre. Und sobald unser Grund tragfähig ist, machen wir uns auf den Weg. Bei mir ging es so leicht, dass ich es erst hinterher merkte, obwohl ich es mir schon jahrelang gewünscht hatte: Auf einmal träumte ich nicht mehr, sondern stand - schwupps - mit meiner Atempraxis da.
Natürlich braucht es auf schwierigen Wegstrecken oft auch medizinische oder psychotherapeutische Begleitung – das ist so selbstverständlich, dass man es eigentlich gar nicht mehr erwähnen muss. Aber wenn der tiefe Körperhunger nach Sicherheit, Geborgenheit, Willkommen gestillt wird, geht es so viel leichter.
Der Körper kann das mit dem Leben. Er kann es besser als wir denken. Und dann geht es auf einmal ganz leicht, dann kommt uns der Weg entgegen – bergauf wie bergab.
Zum Weiterfragen
Bin ich im Moment im Aufstieg? Erlebe ich es als Anstrengung oder geht es leicht? Wie finde ich in den Tritt? Wann brauche ich eine Pause? (Tipp: Solange es noch leicht geht...)
Oder bin ich gerade im Abstieg? Erlebe ich das als leichtere Wegstrecke oder als Niedergang? Wie finde ich in meine Tiefe? Vielleicht brauche ich auch mal Ablenkung von der Ernsthaftigkeit?
Wie kann ich mich öffnen, so dass mir der Weg entgegen kommen kann?
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