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Aufdeckende oder sanfte Atemarbeit – eine Einordnung

 

Vor einiger Zeit nahm ich an einer sehr intensiven Atemsitzung teil, bei der das holotrope Atmen angeleitet wurde, also tiefes Atmen, ohne Atempause, über einen längeren Zeitraum. Und wow, da passiert ja wirklich viel. Innere Bilder tauchen auf, vieles klärt sich, Problematisches löst sich auf, einfach so. Es ist faszinierend, wie einen eine einzige Stunde in eine andere Welt katapultiert. Kurz und gut: Nach dieser Sitzung fasste ich sofort den Plan, eine zusätzliche Ausbildung zu machen und diese Form der Atemarbeit besser kennen zu lernen. Ich war begeistert.

 

Am nächsten Morgen hatte ich einen „Kater“: Die überschäumende Lebendigkeit war verflogen, ich fühlte mich entspannt, aber irgendwie unvollständig und verloren. Die Zeit nach einer Gipfelerfahrung ist ja immer ein bisschen komisch. Während meine eigene Realität erst allmählich wieder auftauchte, dämmerte mir auch, warum ich die sanfte Herangehensweise ohne große Erkenntnissprünge so sehr schätze: Mir sind die kleinen Schritte lieber, denn sie lehren mich genau das, was ich wissen muss: das Leben schon unterwegs und halbfertig zu genießen, statt nur in den besonderen Momenten. Die sind sowieso nie da, wo ich gerade bin.

 

Einen solchen „Kater“ habe ich bei der sanften Atemarbeit noch nie erlebt. Ich denke, das liegt daran, dass sie sich auf die Langsamkeit einlässt: Sie holt Bilder und Gefühle nicht ans Licht, sondern hält den Raum, so dass sie zu ihrer Zeit auftauchen – also genau dann, wenn unser System dafür bereit ist. Wir gehen den Weg in kleinen Schritten. Meist fühlt sich das einfach nur gut an, auf eine schlichte Art, selbst bei tiefen Erfahrungen. Wenn ein Schmerz auftaucht, ist er sanft, wie Wehmut, Sehnsucht oder ein Gefühl des Abschieds. Immer aber verbinden wir uns in diesem Moment mit unserer ureigenen Kraft, die nur dann frei wird, wenn wir unsere Geschichte tief integrieren.

 

Ein weiterer Aspekt beschäftigte mich noch länger: wie leicht intensive Atemtechniken selbst starke Stress-Spitzen kappen – was für eine Chance! Aber auch an dieser Stelle wurde mir irgendwann klar, dass meine Erfahrungen im „echten Leben“ anders sind. Als Notfallmaßnahme ist das rasche Herunterregulieren natürlich gut. Die Entspannung hinterher fühlt sich jedoch oft wie ein Crash an, weil unsere Erschöpfung plötzlich voll spüren. Wenn wir dann nicht ausruhen und umsteuern, entsteht sofort die nächste Stress-Spirale. Auch hier kommt es also darauf an, den Weg bewusst zu gehen und die Zwischenschritte nicht mit Siebenmeilenstiefeln zu überspringen.

 

Wenn ich also ein Fazit aus meinem – zugegeben nur einmaligen – Erlebnis mit einer sehr intensiven Atemtechnik ziehen soll, muss ich unterscheiden: Zum einen macht diese Arbeit viel möglich. Für sehr robuste Personen, die starke Reize brauchen, ist sie sicher gut geeignet – sie kann ihnen die Tür zur inneren Welt öffnen. Für alle anderen sehe ich sie eher als einen i-Punkt, den man draufsetzt, wenn der eigentliche Text schon geschrieben ist. Feinfühlige Menschen brauchen so starke Eingriffe nicht, im Gegenteil: Sie finden auf die sanfte Art alles, was sie sich nur wünschen können.

 

Ich - für mich und für's erste - bleibe also bei der sanften Atemarbeit, weil sie mich den Genuss entlang des Weges lehrt. Den möchte ich nicht missen, nicht um alle Gipfelerfahrungen der Welt.

 

Mehr lesen: Atemübungen - eine Einordnung

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