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Unsicherheit und Offenheit

 

Unsicherheit ist unangenehm, keine Frage, das geht uns allen so. Sie ist verpönt und man hört nur Schlechtes über sie: Sie stört, weil sie uns ausbremst. Sie macht uns klein und hält uns in der Komfortzone. Sie nervt andere, die auf dem Erfolgspfad sind. Es gibt viele Tipps, wie wir sie wegmachen können, weil Glück und Erfolg angeblich nur für sehr selbstsichere Menschen erreichbar ist.

 

Das alles stimmt. Irgendwie. Zum Teil. Am Anfang des Weges. Aber hast Du Dir schon mal überlegt, wo wir ohne Unsicherheit wären? Sind nicht Systeme, die auf absoluter Sicherheit gebaut sind, für Andersdenkende unerträglich? Wer Unsicherheit ein für alle Mal beseitigt, schafft Dogmen. Das betrifft politische Systeme genauso wie Glaubenslehren und unseren inneren Besserwisser.

 

Was aber hat es dann mit der Unsicherheit auf sich? Wie können wir uns mit diesem unangenehmen Zustand anfreunden? Beginnen wir mit der Formulierung, die die Erleuchtung so überraschend beschreibt: Weite Offenheit, keine Spur von heilig - genau das ist Unsicherheit im Kern: Offenheit, also das Bewusstsein, dass eine Situation offen und im Ergebnis unsicher ist. So weit, so gut, nur leider ist es sehr schwer, das nicht negativ zu bewerten und innerlich weit zu bleiben (ohne Aufhebens darum zu machen). Und es gibt in unserer Gesellschaft ja auch kaum Vorbilder dafür.

 

Am Anfang des Weges erkennen wir die hohe Qualität der Unsicherheit nicht. Wir spüren bloß, dass wir nicht so dominant sind wie andere. Wir rennen uns die Nase blutig an denen, die jeden Freiraum nur als Bühne für sich sehen, statt als Ort der Begegnung. Wir kommen nicht zu Wort bei den Vielrednern, die schon zu sprechen beginnen, bevor der andere auch nur in die Nähe des Satzendes kommt.

 

Und doch verbirgt sich darin eine große Stärke: Statt jede Lücke sofort zu füllen, suchen wir in ihr den Freiraum, in dem sich Unerwartetes zeigen kann. Wir sehnen uns nach Offenheit mit ihrer Fülle an Möglichkeiten. Dafür halten wir die Unsicherheit aus, wenn auch zähneknirschend – wir spüren sie ja, wir übergehen sie nicht, wie so viele das tun. Damit sind wir viel näher an der Realität, denn es ist nie wirklich sicher, wie es weiter geht – das ist und bleibt offen. Es kann jederzeit anders werden.

 

Wenn wir älter werden, wird uns diese Offenheit geradezu wertvoll: Wir entwickeln uns weiter, wenn wir uns öffnen können. Wir lernen dazu, wenn wir Neues in unser Leben lassen – ob nun inner- oder außerhalb der Komfortzone. (Wobei ich die Komfortzone nicht negativ sehe: Für ein sensibles Nervensystem ist es unerlässlich, einen Bereich der wohligen Sicherheit zu haben, wo man sich tief erholen kann.)

 

Und so wachsen wir allmählich in die Offenheit hinein - denn es ist eine hohe Kunst, Unsicherheit aktiv zu leben. Besonders wichtig ist das im Bereich der „ewigen“ Wahrheiten, die sich so verflixt richtig anfühlen. Wir können uns kaum vorstellen, dass sie sich verändern oder aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden könnten. Es zeugt von großer Reife, sich wieder auf die Unsicherheit einzulassen, auch wenn man sie im Moment nicht spürt.

 

 

Und jetzt Du:

Kannst Du sehen, wie Du Deine Offenheit abwertest, wenn Du sie als Unsicherheit bezeichnest?

Magst Du die andere Haltung zu Deiner Offenheit mal ausprobieren? Jetzt gleich?

Spürst Du, wenigstens manchmal, wie Du allmählich in die Offenheit hineinwächst?

Hast Du ein Vorbild für die Offenheit?

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